Geschichte
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- Veröffentlicht: Samstag, 06. März 2010 10:41
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Das Paulinum blickt auf eine sehr bewegte Geschichte zurück.In diesem Artikel, der in den Schwazer Heimatblättern, Nr. 53, Juli 2004, S. 18-27 veröffentlicht ist, hat sich HR Dir. Dr. Bernhard Schretter mit den Grundfesten, den Veränderungen und den Zielen des Paulinums in den Jahren von 1926-2003 auseinandergesetzt.
Das Bischöfliche Gymnasium Paulinum
von Direktor Bernhard Schretter
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Inhaltsverzeichnis
1. Das Paulinum—auf altem Schwazer Kulturboden
Das wohl älteste archäologische Fundstück aus dem Schwazer Raum wurde im Jahre 1977 auf dem Areal des Paulinums gefunden: eine neolithische Feuersteinspitze aus dem 3. Jahrtausend v. Chr. Das kleine Steingerät – heute das wertvollste Objekt der historischen Sammlung des Paulinums – belegt den hohen technischen Stand der frühen Jäger, die damals den Alpenraum durchstreiften. Im 2. Jahrtausend v. Chr. gehörte das Bergbaurevier “Alte Zeche” – auf dem das Paulinum liegt – zu den wichtigsten Kupferproduktionszonen der Urnenfelderleute und dürfte in Tirol das älteste Bergbaugebiet darstellen.Um 1420 setzte der neuzeitliche Bergbaubetrieb ein und erreichte seine Blüte zwischen 1470 und 1530.
In einem dieser Grubenbaue, dem Heilig-Kreuz-Stollen ca. 100 m östlich vom Kreuzkirchl soll sich im Jahre 1535 der größte Betriebsunfall der Schwazer Bergbaugeschichte ereignet haben, bei dem durch einen Wassereinbruch 260 Knappen ums Leben gekommen sein sollen. Der Barbara-Bildstock beim Paulinum weist auf dieses Ereignis hin. Mangels zeitgenössischer Quellen kann das Bergwerkunglück nicht als historisch erwiesen werden und gehört wahrscheinlich dem Typus der weitverbreiteten Bergwerkssagen an. Das markanteste Gebäude auf dem Pauliner Gelände ist das barocke “Trueferhaus” mit seinem geschweiften Giebel. Ursprünglich ein Bauernhaus im Besitz der Familie Günn (um 1450-1550) erwarb nach verschiedenen Besitzern der fuggerische Faktor Ulrich Truefer von Voldersberg den Ansitz, der bis ca. 1800 im Besitz der Familie Truefer blieb. 1892 wurde auf dem Gut eine Landesschützenkaserne errichtet.
Weiterführende Literatur:
- Kätzler Johann, Das Paulinum – wie es wurde und wie es ist. In: 37. Jahresbericht des Bischöflichen Gymnasiums Paulinum in Schwaz, 1969/70, S. 3-23.
- Schretter Bernhard, Der Barbara – Bildstock beim Paulinum und das angebliche Bergwerksunglück von 1535 in Schwaz. In: 48. Jahresbericht des Bischöflichen Gymnasiums Paulinum in Schwaz, 1980/81, S. 3-41.
- Zemmer-Plank Liselotte, Steine – gespalten und geschliffen. Die Waffen des mittelsteinzeitlichen Jägers in der Bergwelt Tirols. In: Tiroler Tageszeitung, 8./9. 1. 1983, Nr. 5, S. 18.
2. Vorgeschichte und Gründung des Paulinums im Jahre 1926
Um dem seit 1850 beunruhigenden Priestermangel abzuhelfen und der starken liberalen Bewegung im Lande entgegenzuwirken entschloss sich der Brixner Fürstbischof Vinzenz Gasser (1856-1879) in seiner Diözese, mit reichlicher Verspätung zu den entsprechenden Richtlinien des Konzils von Trient (1545-1563), ein Knabenseminar zu gründen. Am 2. Oktober 1872 wurde im fürstbischöflichen Schloss Thurneck in Rotholz (heute “Landwirtschaftliche Landeslehranstalt Rotholz”) im Hinblick auf den geplanten Neubau in der Bischofsstadt Brixen der provisorische Gymnasial- und Heimbetrieb mit 26 Buben aufgenommen.
In den Jahren 1873-1876 wurde in Brixen das später nach dem Gründungsbischof benannte Knabenseminar “Vinzentinum” erbaut. Im September 1876 zogen die Studenten, die größtenteils in Rotholz ihr Studium begonnen hatten, in den Neubau ein. Bis heute sind viele profilierte Persönlichkeiten Tirols aus dieser bedeutenden Bildungsstätte hervorgegangen.
Weiterführende Literatur:
- Geier Anton, Im Spiegel und Wandel der Zeiten. In: 100 Jahre Vinzentinum, Der Schlern, 47. Jg., Heft 4/5, April / Mai 1973, S. 204-224.
- Rainer Paul, Vorgeschichte und Gründung durch Fürstbischof Vinzenz Gasser. In: 100 Jahre Vinzentinum, a.a.O., S. 192-203.
- Ders., Das Vinzentinum. Selbstverständnis – Leitung – Verwaltung. In: Jahresbericht des Vinzentinums, Brixen 2003, S. 7-11.
Die Wirrnisse nach dem Ersten Weltkrieg brachten das Vinzentinum in große Bedrängnis. Durch den Frieden von Saint Germain wurde das Bistum Brixen in zwei Teile aufgeteilt: Der südlich des Brenners gelegene Teil kam a n Italien (heute: Diözese Bozen-Brixen), der nördlich des Brenners und östlich von Innichen gelegene Teil blieb bei Österreich und wurde vom Apostolischen Stuhl in Rom zunächst zu einer von Brixen abhängigen, mit Dekret vom 12. Dezember 1925 aber zu einer gänzlich unabhängigen Apostolischen Administratur erhoben. Das neugeschaffene kirchliche Verwaltungsgebiet umfasste das Tiroler Inntal bis zum Ziller, Vorarlberg und Osttirol. Zum Apostolischen Administrator wurde der bisherige Weihbischof, Generalvikar und Apostolische Delegat in Vorarlberg Dr. Sigismund Waitz (1864-1941) ernannt. Trotz der politischen Trennung wurden die beiden Seminare – das Knabenseminar Vinzentinum und das Priesterseminar in Brixen – als gemeinsame Seminare weitergeführt, ohne dass von irgendeiner Seite dagegen Einwände erhoben worden wären. Das änderte sich, als im Jahre 1922 in Italien der Faschismus an die Macht kam. In der Absicht, alles Deutsche in Südtirol zu beseitigen, wurde im Mai 1926 den österreichischen Studenten aus Nord- und Osttirol sowie aus Vorarlberg die Einreise nach Südtirol verboten und damit ein Weiterstudium am Vinzentinum unmöglich. Somit war Bischof Waitz vor die Aufgabe gestellt, in seinem neuen Kirchengebiet ein Knabenseminar zu errichten, um für den Priesternachwuchs vorzusorgen. Da ein Neubau unmöglich zu finanzieren war, wurden verschiedene Objekte im Land ins Auge gefasst – unter anderem der Ankauf des Benediktinerstiftes Fiecht bzw. eines heute nicht mehr eruierbaren Objektes in Volders – aber keines schien so geeignet wie die Landesschützenkaserne in Schwaz samt Trueferansitz mit Stöcklgebäude, Bürgerschulgebäude (ehemalige Wagenremise) und Waschküche.
Am 15. November 1926 wurde nach kurzen Verhandlungen das im Besitz der Stadt Schwaz stehende Gut von der Apostolischen Administratur käuflich erworben. Zur Arrondierung wurden zusätzlich vom Montanärar das sogenannte “Berghaus” (Innsbrucker Straße 73) und die Schutthalde am Berta-Unterbaustollen (heute: Parkgarage) gekauft. Als erstes mussten die nach dem Ersten Weltkrieg in der ehemaligen Kaserne einquartierten Familien von der Stadtgemeinde anderswo untergebracht werden. Der Unmut über die Delogierung entlud sich in zwei Demonstrationen gegen die Kirche. Außerdem hielten viele den Kaufpreis von S 130. 000.- für zu niedrig, sodass er schließlich auf S 167. 246.- erhöht wurde. Während des Sommers wurde mit der Adaptierung der abgewohnten Räume begonnen und auf die Kaserne ein dritter Stock aufgesetzt. Die Trennung von der Mutterschule in Brixen war verständlicherweise schmerzhaft. Die Professoren, die nicht die italienische Staatsbürgerschaft besaßen, verließen schweren Herzens die alte Bischofsstadt. Auch die Teilung des Inventars ging nicht ganz ohne Gereiztheiten vonstatten. Am 26. November 1926 wurde das Haus durch den Bischof eingeweiht, anschließend begann für die 202 Schüler der Schulbetrieb. 1932 verlieh Bischof Waitz dem Knabenseminar aus seiner Verehrung gegenüber dem Völkerapostel Paulus (Waitz Sigismund, Paulus, 6 Bände, Innsbruck 1932-1938) den Namen “Paulinum”.
Weiterführende Literatur:
- Kätzler Johann, Wie es zur Gründung des Paulinums kam. In: 39. Jahresbericht des Bischöflichen Gymnasiums Paulinum in Schwaz, 1971/72, S. 3-10.
- Ders., Teilung im Jahre 1926. In: 100 Jahre Vinzentinum, a.a.O., S. 225-228.
- Ders., Aus eins mach zwei. Wie aus dem Vinzentinum das Paulinum hervorgegangen ist. In : Jahresbericht des Vinzentinums, Brixen 2003, S. 12-14.
3. Vom Tridentinischen “Kleinen” Seminar zur Privatschule in katholischer Trägerschaft
Der gewaltige Wandel, der sich in Zielsetzung und in Erziehungsgedanken auf dem Wege von einem nach den Grundsätzen des Konzils von Trient eingerichteten Knabenseminar zu einem katholischen Privatgymnasium im 21.Jahrhundert vollzogen hat, lässt sich besonders an der Entwicklung der Seminarstatuten aus der Gründerzeit bis zum Leitbild “Paulinum neu” aufzeigen.
3.1 Statuten 1926-1938
Bei der Regelung der inneren Organisation des neuen bischöflichen Knabenseminars griffen Bischof Waitz und der damalige Regens Dr. Josef Resinger auf die von Fürstbischof Gasser 1876 für das Vinzentinum erlassene “Hausverfassung” und dessen “Statuten” zurück.
Zweck und Aufgabe des neuen Seminars wird folgendermaßen umschrieben: “Das bischöfliche Knabenseminar ist eine Studieranstalt zur Heranbildung künftiger Priester der Diözese. (…) Möglichst geschützt vor den Gefahren der Welt soll im Seminar der fromme, kirchliche Sinn genährt und ein gerader fester Charakter ausgebildet werden.” Zur Umsetzung dieses Zieles herrschte in der Pädagogik – wie in vergleichbaren Bildungsanstalten nicht anders üblich – die Tendenz vor, die Zöglinge durch ein “wie ein Uhrwerk” ablaufendes Tagesprogramm und durch bis ins kleinste Detail geregelte Vorschriften zu lenken und zu überwachen. Ehemalige Seminaristen blicken heute mit einer Mischung von Unmut und Dankbarkeit auf diesen Erziehungsstil zurück, der sich zwischen spiritueller Erhebung und oft beklemmendem Alttag bewegte.
Weiterführende Literatur:
- Girtler Roland; Die alte Klosterschule. Eine Welt der Strenge und der kleinen Rebellen, Wien, Köln, Weimar 2000 (über das Benediktinergymnasium Kremsmünster).
- Kaspar Peter Paul, Knabenseminar. Ein Nachruf, Salzburg, Wien 1997 (über das erzbischöfliche Seminar Hollabrunn).
- Kätzler Ferdinand, Mit Gottvertrauen. Erinnerungen an ein erfülltes Leben, Innsbruck 2001.
- Köck Walter, “80 Jahre im Paznaun”. Zeit zu lachen, Zeit zu weinen, Zeit zu sammeln. Galtür 2003.
- Mayr Michael, Scherben – in Gottes Namen. Von (Un-) Möglichkeiten katholischer Internatserziehung. In: Föhn, Heft 5 , Innsbruck 1980, S.27-28.
3.2 Die Zeit des Nationalsozialismus 1938-1945
Nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich verfolgten die neuen Machthaber das Ziel, möglichst rasch den Zugriff auf die Jugend zu bekommen. Dazu musste die Stellung der katholischen Kirche im Schulwesen gebrochen werden. Im Zuge des Einmarsches der deutschen Truppen in Schwaz am 16. März 1938 wurden für einige Tage 160 Mann des bayrischen Infanterieregiments Nr. 61 (München) im Schulgebäude des Paulinums einquartiert. Der Rest des Schuljahres war durch die Versuche des für die Apostolische Administratur Innsbruck – Feldkirch zuständigen Salzburger Fürsterzbischofs Dr. Sigismund Waitz geprägt, das Paulinum zu retten. Doch alle Verhandlungen blieben ergebnislos. Am 27. Oktober 1938 wurde die Einrichtung einer “Staatlichen Oberschule samt Schülerheim” bzw. die Übernahme des “bischöflichen Gymnasiums Paulinum samt Konviktes” durch den Staat verfügt. Am 14. November 1938 erfolgte die feierliche Eröffnung der neuen “Staatlichen Oberschule für Jungen Michael Gaißmayr”. Die bisherigen Professoren wurden entlassen, etliche waren in der Folgezeit schwerer Verfolgung durch die NS-Behörden ausgesetzt. Die meisten Schüler des Paulinums meldeten sich nach Ende des Schuljahres ab und versuchten an anderen Mittelschulen ihr Studium weiter zu führen. Die Seelsorger wurden von der Direktion gebeten, den ehemaligen Schülern des Paulinums ihre besondere Fürsorge zuzuwenden.
Josef King, Schüler und unangefochtener Primus der 5. Klasse, setzte in Bregenz sein Studium fort. Er wurde wegen des Vergehens der Konspiration mit Kriegsgefangenen am 6. Juni 1944 von der Gestapo verhaftet und am 24. April 1945 im Konzentrationslager Mauthausen erschossen. Die Schülerzahl der Oberschule nahm zunächst dramatisch ab, erfuhr dann ab 1939/40 durch die Aufnahme von Mädchen und durch zugewiesene Kinder von Südtiroler Umsiedlern eine rasante Aufwärtsentwicklung. Die Schule hatte als Teil der NS-Erziehungsordnung die Aufgabe, den “nationalsozialistischen Menschen” zu formen und die deutsche Jugend “zum vollen Einsatz für Führer und Nation” zu erziehen. Lehrplan und Reihenfolge der Unterrichtsfächer im Bildungskanon spiegelten diese Grundsätze wider. Hauptgewicht lag auf der körperlichen Ausbildung, es folgten die spezifisch deutschkundlichen Fächer. Größtes Augenmerk wurde der Zusammenarbeit zwischen Schule und Hitlerjugend (HJ) gewidmet, wobei der HJ-Dienst Vorrang hatte. Während des Krieges wurde die Schule immer mehr in den Hintergrund gedrängt. Die Einberufung von Lehrern zur Wehrmacht hatte einen krassen Lehrermangel, ständigen Stundenentfall und Unterrichtskürzungen zur Folge. Schülerinnen und Schüler wurden zu indirektem und direktem Kriegseinsatz herangezogen: durch Sammelaktionen und Ernteeinsätze, durch Einberufung zum Reichsarbeitsdienst oder zum Dienst als Luftwaffenhelfer bei der Flakverteidigung bzw. als Nachrichtenhelferinnen in der “Operationszone Alpenvorland”. Die meisten Schüler der 7. und 8. Klasse konnten wegen der Einberufung zum Wehrdienst die Oberschule nicht mehr ordnungsgemäß abschließen. Sie bekamen den sogenannten “Reifevermerk” in das Zeugnis. Ab 1944 wurde die Schulsituation wegen des ständigen Fliegeralarms und des Kohlemangels immer unerträglicher. Nach dem Bombenangriff auf Schwaz am 15. Dezember 1944 wurde die Oberschule geschlossen und diente als Lager für ausgebombte Schwazer, als Auffanglager für Ostflüchtlinge und schließlich als Lazarett der Wehrmacht. Ende März 1945 begann die Verlegung der Oberschule in Gastbetriebe nach Pertisau im Rahmen der Aktion “Kinderlandverschickung”. Infolge der Kriegswirren trafen dort nicht mehr alle Schülerinnen und Schüler ein, etliche wurden von ihren Eltern bald abgeholt. Die letzten 21 verbliebenen Schüler wurden am 6.Juni 1945 wieder nach Schwaz gebracht und am 14.Juni entlassen. Dort war inzwischen das von der Wehrmacht überstürzt verlassene Lazarett von Personen aus Schwaz geplündert worden. Nach Kriegsende, am 11. Juli 1945 wurde das verbliebene Inventar wieder der katholischen Kirche übergeben. Den Sommer über wurde mit aller Kraft gearbeitet, um im Herbst den geregelten Schulbetrieb aufnehmen zu können. Am 18. September 1945 konnte das Bischöfliche Gymnasium Paulinum als erstes Gymnasium Österreichs mit einem Festakt wieder seine Tore öffnen.
Weiterführende Literatur:
- Schreiber Horst, Von inbrünstiger Begeisterung und dem Grauen der Barbarei.
- Schwaz unter nationalsozialistischer Herrschaft 1938-1945. In: Schwaz: Der Weg einer Stadt, hsg. von der Stadtgemeinde Schwaz, Innsbruck 1999, S. 121-185.
- Ders., Schule in Tirol und Vorarlberg 1938-1945 , Innsbruck 1996 (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte, Band 14).
- Schretter Bernhard, Das Paulinum während der Zeit des Nationalsozialismus (1938-1945), 1.Teil. In: 55. Jahresbericht des Bischöflichen Gymnasiums Paulinum in Schwaz, 1987/88, S. 12-57. Ders.
- Das Paulinum während der Zeit des Nationalsozialismus (1938-1945), 2. Teil. In: 56. Jahresbericht des Bischöflichen Gymnasiums Paulinum in Schwaz, 1988/89, S. 5-38
3.3 Pfadfindergrundsätze 1945-1966
Nach der Wiedereröffnung wurden am 1. Dezember 1945 von Bischof Dr. Paulus Rusch neue Statuten in Kraft gesetzt, in denen die damals modernen Pfadfindergrundsätze verankert waren: “Jede Klasse ist nach Pfadfinderprinzip in eine Klassenkameradschaft zusammenzuschließen. Dem Präfekten stehen Gruppenhelfer zur Seite. Diese – besonders tüchtige und charakterlich wertvolle Jungen – führen eine Einheit von 10 Mann”. Ziel der Erziehung war “die Heranbildung gebildeter und überzeugter Katholiken; aus guten Familien ausgewählt soll in ihnen durch Lehre und Vorbild der Erzieher und Professoren der Berufsgedanke zum Priestertum in großer Zahl geweckt werden. Allen aber soll, nachdem sie die Anstalt verlassen haben, wenigstens die Berufung zum allgemeinen Priestertum leuchtender Inhalt ihres Lebens sein. (…) Gläubig, ritterlich und tüchtig sollen die jungen Menschen sein, die am Paulinum gebildet werden”. Die strenge “Dienstordnung”, die jahrzehntelang als “heiliges Gesetz” am Beginn jedes Schuljahres von der Kanzel verlesen wurde, prägte äußerlich und innerlich das Leben vieler Maturajahrgänge.
3.4 Innerer Wandel 1966-1985
Der durch das Zweite Vatikanische Konzil markierte geistige Umbruch in der Kirche, antiautoritäre Erziehungsvorstellungen – oft genug mit “Laissez-faire” verwechselt -, aber auch die Neuordnung des Privatschulwesens in Österreich durch den Schulvertrag mit dem Heiligen Stuhl und das damit zusammenhängende Privatschulgesetz 1962 erschütterten die traditionelle Form der kirchlichen Seminare. Der Staat übernahm die Personalkosten der Lehrer und Lehrerinnen in katholischen Privatschulen, forderte aber im Gegenzug Mitsprache bei der Auslegung bisheriger Sonderrechte, besonders “bei der Freiheit der Aufnahme, der Möglichkeit verantwortungsbewusster Auslese durch Entlassung und Consilium abeundi, der nötigen Sanktionsmittel zur Aufrechterhaltung der Disziplin und der Geltung der von der kirchlichen Obrigkeit aufgestellten Seminarstatuten.” Die Leitung des Paulinums reagierte auf diese Veränderungen durch neue Statuten, die die Verhaltensanweisungen auf das Nötigste beschränkten. Es wurde nur der Erziehungsrahmen abgesteckt, und den Erziehern und Schülern wurde Spielraum zu individueller Gestaltung gelassen. Der Umfang der Statuten reduzierte sich allmählich von sieben Seiten auf zwei Seiten. Das Knabenseminar wurde in “Bischöfliches Studienheim” umbenannt.
Weiterführende Literatur:
- Kätzler Johann: Durch zwei Welten ging mein Weg. Mein Lebensweg, 1. Aufl., Schwaz 1974, 2. Aufl., Schwaz 1986.
3.5 Leitlinien für Erziehung und Bildung am Paulinum 1985-2003
Weiterführende Literatur:
- Huber Florian, Auf dem Prüfstand. Zur pastoralen Lage in der Diözese Innsbruck. In: Humer Hans, Kunzenmann Werner (Hg.), Tirol – heiliges Land? Dokumentation, Innsbruck 2002, S. 107-128.
3.6 Leitbild “Paulinum neu” ab 2003
Nach Schließung des Internats (1999) und des Hortes (2003) erforderte die Frage nach Zielsetzung und leitenden Werten für den nunmehrigen “Lernort Schule” ein neues “Pauliner Leitbild”. Da die Diözese die Generalsanierung und den teilweisen Neubau des Gymnasiums in Angriff nahm, ergab sich die einmalige Chance, Leitbild, Schulprofil sowie Raum- und Funktionsprogramm für den Neubau in Synthese zu entwickeln. In einem intensiven Diskussionsprozess zwischen der Schulgemeinschaft, dem Schulerhalter und der theologischen Fakultät der Universität Innsbruck wurde ein neues Leitbild geschaffen. Ausgehend vom Kernsatz: “In der Mitte steht der Mensch” wird die Aufgabe des Paulinums darin gesehen, “dass junge Menschen durch die Erziehung und Bildung am Paulinum bereit und fähig werden, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen sowie sich der religiösen Auseinandersetzung zu stellen”. Aufbauend auf die vier Parameter: “Paulinum als Ort weltoffenen Denkens – Paulinum als Ort gelebter Solidarität – Paulinum als Ort erfahrbarer Spiritualität – Paulinum als Ort vielfältiger Begegnung” werden die grundlegenden Werthaltungen der Schule aufgezeigt. Die Diözesanleitung schrieb bei der Inkraftsetzung des Leitbildes am 1. September 2003: “Das Paulinum ist seit langem für unsere Diözese von großer Bedeutung. Ganze Generationen von Priestern sind daraus hervorgegangen, Hunderte Akademiker wurden durch das Paulinum entscheidend geprägt und sind in verantwortungsvollen Positionen in Stadt und Land tätig. Inzwischen hat sich viel verändert. Das Paulinum ist kein “Kleines Seminar” mehr. In einer völlig veränderten Bildungslandschaft ist es aber von besonderer Wichtigkeit, dass es Orte gibt, an denen junge Menschen ihre Berufung zum Christsein entdecken sowie Kirche als Gemeinschaft erfahren können und sensibel werden für ihre auch gesellschaftspolitische Verantwortung.”
4. Die bauliche Entwicklung
4.1 Bauphase 1926/27
Beengte bauliche Verhältnisse erschwerten das erste Schuljahr 1926/27. Deshalb musste das Schulgebäude erweitert und den pädagogischen Erfordernissen angepasst werden. Im Sommer 1927 wurde das Innere des Schulgebäudes verändert, ein zweiter Stock daraufgebaut, gegen den Berghang hin ein mächtiger Neubau angefügt und eine Turnhalle errichtet. Im weiteren Verlauf wurde für die geistlichen Schwestern ein eigenes Haus gebaut und eine Stallung zur autarken Versorgung des Hauses erstellt. Die Finanzierung der in der damaligen Notzeit gewaltigen Bauprojekte erfolgte durch eine dreijährige Gehaltsumlage beim Diözesanklerus, durch Beiträge der Gläubigen in Haus- und Quatembersammlungen sowie durch diverse Spenden.
4.2 Bauphase 1929/30
Der folgende Bauabschnitt galt dem Ausbau des Internates nach den Plänen von Baumeister Albert Bermoser. Am 1. August 1929 wurde mit dem Bau des großen Kirchentraktes begonnen. Am 10. Oktober segnete Bischof Waitz den in der Westseite der Kirche sichtbar eingelassenen Grundstein der Kirche, der aus dem von der Tradition als Abendmahlssaal bezeichneten Raum in Jerusalem stammt. Außer der Pauliner Kirche gibt es in Tirol lediglich zwei Kirchenbauten aus der Zwischenkriegszeit. Formen und Stilmittel sind typisch für die “Neue Sachlichkeit”. Die Farbfenster wurden 1930 vom Schwazer Künstler Carl Rieder (1898-1976) entworfen. Das große, 1932 vom Bildhauer Andreas Hinterholzer aus der Künstlergruppe “Heimat” geschaffene Kreuz wurde während des Krieges in die Schwazer Spitalkirche gebracht.
Im Jahre 1949 wurde von Carl Rieder das mittlere Chorfenster mit der berühmten Christusdarstellung eingefügt, die den Christkönigs- mit dem Herz-Jesu-Gedanken verbindet. Auf dem Hochaltar aus Losensteiner Marmor (1949) stehen seit Mai 1951 der Tabernakel und zehn Leuchter nach dem Entwurf von Prof. Herbert Schneider-Rappel, Schwaz. Die Tabernakeltür zeigt in 16 Feldern symbolische Darstellungen aus dem Leben Jesu.
Weiterführende Literatur:
- Achleitner Friedrich, Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert, Bd. 1, Salzburg, Wien 1980, S. 336. Dehio-Handbuch.
- Die Kunstdenkmäler Österreichs, Bd. Tirol, Wien 1980, S. 709.
- Heinz Ewald, Walch Otto Eugen, Abendliche Besinnungen vor dem Tabernakel in der Kirche des Bischöflichen Studienheimes Paulinum, Schwaz 1985.
4.3 Bauphase 1966/67 und 1969/70
Da die Schulgesetze 1962 die Klassenschülerhöchstzahl auf 36 Schüler gesenkt hatten, wurde nach den Plänen von Architekt Dipl.-Ing. Hermann Hanak auf das Schulgebäude ein dritter Stock aufgesetzt, um weitere Klassenräume zu schaffen. Vom gleichen Architekten wurde das “neue” Studienheim geplant und gebaut, das den Anforderungen eines modernen Internatsbetriebes Rechnung trug. Dazu kamen in einem gesonderten Bauteil ein Hallenschwimmbad und eine Aula für Veranstaltungen.
4.4 “Paulinum neu” ab 2004
Wegen schwerer Gebäudeschäden an Turnhalle und Hallenschwimmbad wurde ab Oktober 1996 die Errichtung einer Dreifachturnhalle ins Auge gefasst. Die Finanzierungsverhandlungen verliefen erfolgreich, die Planung gedieh bis zur Baureife. Nach der Schließung des Internates 1999 wurde das geplante Projekt in ein bauliches Gesamtkonzept zur Generalsanierung des gesamten Gymnasiums übergeführt. Projektstudien empfahlen wegen des desaströsen Bauzustandes den Abriss aller Gebäude mit Ausnahme der ehemaligen Kaserne mit Kirchentrakt. Bischof Dr. Alois Kothgasser und der Bischofsrat fassten daraufhin im Hinblick auf ein inneres und äußeres Reform- und Sanierungskonzept, das den Namen “Paulinum neu” bekam, folgenden Beschluss: “Neugestaltung des Paulinums im ehemaligen Internatsgebäude mit den notwendigen Zubauten in einer modernen, soliden, dem Konzept des Paulinums entsprechenden Ausführung und Ausstattung. Die Renovierung des Paulinums wird in Angriff genommen, weil die Präsenz der Kirche in der Erziehung, Ausbildung und Prägung der Jugend nach christlichen Werten auf die Zukunft hin entscheidend ist.” Die Finanzierung musste durch gezielte Verwertung der Liegenschaften, die zum Paulinum gehörten, erfolgen. Die diesbezüglichen Verhandlungen mit der Stadtgemeinde Schwaz mündeten in ein Vertragswerk, das der Stadt die Errichtung eines großen regionalen Sportzentrums sowie den Bau der seit über 40 Jahren geplanten Arzbergstraße ermöglichte, der Diözese die Errichtung eines modernen Schulzentrums.
Aus einem Architektenwettbewerb, an dem sich 38 Architektenteams aus Österreich und Deutschland beteiligten, ging das Projekt des Architekturbüros Koch + Partner aus München als Sieger hervor. Das Projekt erhält das alte Internats- und Kirchengebäude in seiner signifikanten Solitärstellung im Inntal und bindet die Neubauten in die topographische Situation des dahinter liegenden Hangs ein.
5. Lehrpläne
Der Wandel in den Lehrplänen und Bildungsinhalten ergibt sich aus den geistigen und politischen Strömungen jeder Epoche. Im ersten Schuljahr des Paulinums 1926/27 galt noch der aus der Monarchie stammende Lehrplan, in dem besonderes Gewicht auf Latein gelegt wurde, welches in der 1. Klasse mit acht Wochenstunden unterrichtet wurde. Ab 1927 wurden auf Kosten des Lateinunterrichtes besonders Deutsch und die naturwissenschaftlichen Fächer mit einem höheren Stundenausmaß bedacht. Altgriechisch wurde seit 1935 ab der 3. Klasse unterrichtet. 1948/49 wurden die Gegenstände Musikerziehung und Kunstgeschichte in den Lehrplan aufgenommen. Ab 1963/64 wurde Englisch als Fremdsprache in der 1. Klasse begonnen und im humanistischen Gymnasium, zu welchem Typ das Paulinum gehörte, der Beginn des Lateinunterrichtes in die 3. Klasse und des Griechischunterrichtes in die 5. Klasse verlegt. Ab 1981/82 wurde Französisch neben Griechisch als alternativer Pflichtgegenstand eingeführt, später kamen noch die Wahlpflichtgegenstände Informatik, Italienisch und Spanisch dazu. Besonderen Wert legte man im Paulinum seit jeher auf Sport (Handball) und auf ein außerschulisches kulturelles Leben (Studentenmusikkapelle, Chor, Theater).
Ein charakteristisches Schulprofil erreichte das Paulinum durch das seit 1987/88 immer weiter entwickelte “Pauliner Schulmodell”, bei dem durch differenzierte Betreuung die individuellen Anlagen und Begabungen der Schülerinnen und Schüler besonders berücksichtigt und gefördert werden sollen.
6. Schülerinnen und Schüler
Von 1926/27 bis 2002/03 (nicht berücksichtigt 1938-1945) besuchten 3830 Jugendliche das Paulinum, 1669 legten an der Schule die Matura ab. Seit 1988/89 besuchten 421 Mädchen das Paulinum,126 maturierten. Nach einer mit dem Verkauf der Kaserne zwischen der Stadt Schwaz und der Apostolischen Administratur gleichzeitig getroffenen Abmachung hatte sich diese verpflichtet, alljährlich bis zu acht Externisten aus Schwaz aufzunehmen, wobei die Gesamtzahl dieser Externisten die Zahl 50 nicht übersteigen dürfe. Diese Abmachung wurde ab dem Jahre 1965 wegen des stets größer werdenden Andranges externer Schüler obsolet. Hinsichtlich der Herkunft der Schüler waren lange Zeit die Tiroler Bezirke ziemlich gleichmäßig vertreten, auch die Vorarlberger stellten bis 1968/69 immer ein beachtliches Kontingent. Mit der Gründung von Schulzentren in den Tiroler Bezirksstädten ging die Zahl der aus den Bezirken Imst, Landeck, Reutte und Lienz stammenden Schüler stark zurück. Die von Jahr zu Jahr wachsenden Auslastungsschwierigkeiten des Internates und die daraus resultierende ständige Steigerung des finanziellen Zuschusses der Diözese führte zum Beschluss des Bischofsrates, das Internat mit Ende des Schuljahres 1998/99 zu schließen. Die folgende Tabelle zeigt das kontinuierliche Anwachsen der Zahl der externen Schülerinnen und Schüler, bedingt auch durch die im Jahre 1985 erfolgte Öffnung des Paulinums für externe Schüler aus den Pfarren zwischen Wattens und Jenbach:
Tabelle der SchülerInnenzahlen
Das Paulinum versteht sich heute als das überregionale Gymnasium der Diözese Innsbruck und des Tiroler Anteils der Erzdiözese Salzburg, das allen im Sinne des Leitbildes qualifizierten Aufnahmewerbern (Buben und Mädchen) offen steht. Das Einzugsgebiet umfasst das Gebiet von Innsbruck bis Kufstein. Damit ist das Paulinum die einzige katholische Privatschule im östlichen Teil des Bundeslandes Tirol ab Volders. Die Absolventen und Absolventinnen des Paulinums sind seit 1982 im “Verein der Pauliner/innen” erfasst, der zu den bekanntesten Absolventenvereinigungen Österreichs gehört. Den Professoren, die 1926 die alte Bischofsstadt Brixen verlassen mussten, um in Schwaz die neue bischöfliche Schule aufzubauen, gab der Gründungsbischof Dr. Sigismund Waitz folgenden Auftrag mit: “Das neue bischöfliche Seminar soll unter den Erziehungs- und Bildungsanstalten des Landes eine herausragende Stellung einnehmen”. Seit den Anfängen stellen sich Generationen von Lehrern und Lehrerinnen der Herausforderung, diesen anspruchsvollen Auftrag zu erfüllen und neben der Vermittlung einer gediegenen schulischen Ausbildung vor allem Charakterformung im Sinne christlicher Werterziehung zu leisten.
Weiterführende Literatur:
- Brandl Erich, Statistischer Rückblick auf 50 Jahre Jahresberichte Paulinum. In 50. Jahresbericht des Bischöflichen Gymnasiums Paulinum in Schwaz, 1982/83, S. 15-30.
- Tschol Helmut, Paulinum im Rückblick. In: Festschrift – 50 Jahre Paulinum 1926-1976, Schwaz 1976, S. 16-46.
- Seifert Thomas, Sprungbretter zur Macht .Kaderschmieden in Österreich, Wien 1998.
- Bettschart Roland, Kofler Birgit, Nobelclubs in Österreich, Wien 1999.
Neben der angeführten Literatur wird vor allem auf die Jahresberichte der Schule verwiesen, die eine unerschöpfliche Fundgrube für die Geschichte des Paulinums darstellen.